„Praxis“-Erfahrungen in der Digitalisierung: Mehr Leid als Freud

8.4.2024 - Düsseldorf - Über den Stand der Dinge in der Digitalisierung und die Auswirkungen in einer Praxis für ärztliche Psychotherapie in Düsseldorf durfte ich (Thomas Klug, daten-strom.Medical-IT-Services GmbH) mit Dr. Hans-Peter Stotz ein Interview führen. Er ist seit etwa 16 Jahren als niedergelassener Arzt tätig und teilt seine Erfahrungen mit der Telematik, dem Praxisverwaltungssystem und den angewandten IT-Sicherheitsmaßnahmen.

@ Von Thomas Klug, daten-strom.Medical-IT-Services GmbH

© Privat; Dr. Stotz

Thomas Klug: Herr Dr. Stotz, Sie betreiben seit 2008 eine Praxis für ärztliche Psychotherapie in Düsseldorf und mich würde interessieren, welche Erfahrungen Sie mit der Digitalisierung im Gesundheitswesen gemacht haben. Wenn Sie die letzten fünf Jahre zurückblicken: Wie würden Sie die Entwicklung der Digitalisierung bewerten, gerade im Kontext Ihrer eigenen Praxis? Welchen Mehrwert konnten Sie z. B. der Telematik abgewinnen?

Leider muss ich feststellen, dass die Telematik mir bislang keine Arbeitserleichterung gebracht hat. Es fing an mit der ersten Anwendung, dem Versichertenstammdatenabgleich, der vielleicht für die gesetzlichen Krankenkassen hilfreich ist, für mich als ärztlicher Psychotherapeut keinen Vorteil bringt. Dann kam die elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, eAU, bei der die Krankenkassen über die Telematik informiert wird. Früher geschah dies per Brief an die Krankenkasse. Ein Vorteil für die Patienten ist, dass ggf. die Krankengeldzahlung schneller als früher erfolgt. Eigentlich sollten die Arbeitgeber auch von der Krankschreibung über die Telematik von den Krankenkassen informiert werden. In der Realität gibt es da viele Hindernisse. Zum einen erfuhr ich von Personalabteilungen, dass die Weiterleitung über die Krankenkassen mehrere Tage dauert. Bei staatlichen Stellen, Schulen, öffentliche Kindergärten oder Behörden, erlebe ich regelhaft, dass deren Personalverwaltungen nicht in der Lage sind, die eAU abzurufen. Daher gebe ich meinen Patienten immer einen Ausdruck der eAU mit.

Thomas Klug: Läuft denn wenigstens das eRezept und KIM störungsfrei?

Das eRezept und KIM laufen derzeit bei mir noch nicht stabil.

Es vergeht immer wieder eine Stunde für die Fernwartung mit dem Hersteller vom Praxisprogramm, die ich ansonsten für die die Patienten oder medizinische Fortbildungen hätte nutzen können. Diese Zeiten werden mir nicht von den Krankenkassen bezahlt.

Die Vorteile liegen derzeit auf der Seite der Krankenkassen. Dies erzeugt auch um Unmut bei den niedergelassenen Ärzten und Psychologischen Psychotherapeuten.

Als ärztlicher Psychotherapeut wie ich kommt man letztlich nicht um einen TI-Anschluss herum. Als Psychologischer Psychotherapeut hat der Nutzen eines TI-Anschlusses noch geringer. eRezept, eAU haben keine Bedeutung. Ich kann durchaus verstehen, wenn Psychologische Psychotherapeuten sich gegen einen IT-Anschluss entscheiden und mit diesem Verstoß den Honorarabschlag in Höhe von 2,5 % in Kauf nehmen.

Früher war mein Praxisrechner vom Internet getrennt. Auch konnte ich alle meine Computerprobleme selbst lösen. Nun benötige ich ein Systemhaus zur Unterstützung und bin froh, dass ich mit der Firma Datenstrom einen kompetenten Dienstleister an meiner Seite haben.

Thomas Klug: Sie beklagen, dass Ihnen die Telematik viel Arbeitszeit, Kosten und Verdruss gebracht hat. Gab es dennoch positive Aspekte im Kontext der Telematik?

Als IT-affiner Arzt habe ich durch die Telematik sehr viel über Computertechnik im Hintergrund gelernt. Mit der Zeit wird man zum Technik-Experten.

Thomas Klug: Sie sprachen das eRezept schon an. Gematik-Chef Florian Hartge sagte ja vor kurzem in einem Interview, dass das eRezept gut angekommen sei. Sehen Sie das in Ihrer Praxis genauso?

Der Hersteller meines Praxisprogramms hat mit dem eRezept ziemliche Probleme. Von anderen Praxen höre ich, dass es dort weniger Schwierigkeiten gibt. Gleichzeitig kommt es immer wieder zu Ausfällen in zentralen Teilen der Telematik, die dann das Einlösen des eRezeptes in der Apotheke erschweren. Ich vermute, dies geschieht vor allem in den Stoßzeiten, wie zum Beispiel Montagvormittag.

An die Patienten in Pflegeheimen oder solche die in ihrer Wohnung von ambulanten Pflegediensten betreut werden, hat die Gematik bei der Einführung des eRezeptes nicht gedacht. Diese Patientengruppen waren mit dem Papierrezept, Muster 16, besser versorgt als mit dem eRezept.

Thomas Klug: Verschreiben Sie auch „DiGa´s“ (Digitale Gesundheitsanwendungen) für Ihre Patienten? Wie stehen Sie zu diesen digitalen Unterstützungsleistungen?

Auf Bitte einer Patientin, die von ihrer Krankenkasse darauf hingewiesen wurde, verschrieb ich einmal eine DiGA zum Thema Depression. Diese spiegelte den Anfang einer Verhaltenstherapie wider. Jedoch brach die Patientin das Programm nach kurzer Zeit ab, was häufig vorkommt. Das Preis-Leistungs-Verhältnis der DiGA ist aus meiner persönlichen Sicht eher ungünstig.

Thomas Klug: Ab dem 15.01.25 soll es ja die „ePA für alle“ geben. Welche Herausforderungen befürchten Sie? Wird der bürokratische Mehraufwand steigen? Auch hier sprach die Gematik vor kurzem davon, dass den Ärzten keine Mehrarbeit entstehen darf, sondern ab dem Start einen Mehrwert bieten solle.

Den Zusagen der Gematik vertraue ich nicht, zumal die Gematik keinen unmittelbaren Einfluss auf die Integration der ePA in die Praxisprogramme hat. Meine Befürchtung ist, dass die ePA eine ungeordnete Ansammlung von PDF-Dokumenten wird, deren Nutzen für die Behandlung gering ist.

Thomas Klug: Welche Erwartungen und Hoffnungen haben Sie in dem Zusammenhang an die Krankenkassen?

Die Krankenkassen haben einen unstillbaren Datenhunger. Ich gehe eher davon aus, dass die Krankenkassen mit der ePA mehr Kontrolle auf Praxen und Patienten ausüben werden.

Thomas Klug: Kommen wir nochmal zurück auf das PVS (Praxisverwaltungsprogramm) zurück. Fühlen Sie sich vom PVS-Kundenservice gut unterstützt und angemessen informiert?

Viele Funktionen, wie der KIM-Dienst oder das eRezept laufen nicht stabil. Die Hotline ist nicht erreichbar. Die Bedienkonzepte sind teilweise recht umständlich. Ich spüre, dass das Programm meines Herstellers über ein Vierteljahrhundert nach wechselnden Vorgaben erweitert wurde. Ursprünglich sollte es nur die Abrechnung erleichtern, nun kommen durch die Telematik nach langer Wartezeit monatlich neue Aufgaben dazu.

„…es ist für einen Arzt einfacher, sich von seiner Frau zu trennen als von seinem Praxisverwaltungssystem.“

Thomas Klug: Würden Sie unter diesen Umständen einen Wechsel des PVS-Anbieters in Betracht ziehen?

Der Wechsel des Praxisverwaltungsprogramms ist mit hohen Kosten verbunden. Insbesondere die Übertragung der Patientendatei stellt eine Herausforderung dar. Durch die Telematik mit ihren Verträgen ist alles noch komplizierter geworden. Stephan Pilsinger, niedergelassener Facharzt für Allgemeinmedizin und CSU-Bundestagsabgeordneter, fasste diese Problematik im Bundestag einmal so zusammen: es ist für einen Arzt einfacher, sich von seiner Frau zu trennen als von seinem Praxisverwaltungssystem.

Einen echten Wettbewerb der Hersteller untereinander gibt es leider nicht, weil der Wechsel zu kompliziert ist.

Thomas Klug: Welche Herausforderungen sehen Sie auf die Hersteller von Praxisverwaltungssystemen mittelfristig zukommen?

Bundesweit laut Statistik der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, KBV, sind rund 32.000 niedergelassene Ärzte und Ärztinnen bzw. Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten älter als sechzig Jahre (21 %) und 18 % älter als fünfundsechzig Jahre. Es ist daher zu erwarten, dass es in den kommenden Jahren zu vermehrten Praxisabgaben kommen wird. Nicht jeder Praxisinhaber wird einen Nachfolger finden. Der Trend geht zur Anstellung. Dies hat dann auch Auswirkungen auf die Kundenzahlen haben.

So wie ich es verstanden habe, plant die Gematik einen überlappenden Wechsel von der Telematik 1.0 auf die Telematik 2.0, die mit software-basierten Zertifikate auskommen soll. Die Hersteller der Praxisprogramme müssen also eine Zeitlang sowohl die Telematik 1.0 und 2.0 parallel unterstützen. Dabei arbeiten bereits jetzt schon einige Hersteller am Limit, wie die langen Wartezeiten an deren Hotline und die in den Foren geschilderten Klagen der Endkunden zeigen.

Thomas Klug: Wenn ich Sie nochmal auf die elektronische Patientenakte (ePA) ansprechen darf. Sind Ihre Patienten einer ePA tendenziell eher positiv aufgeschlossen oder ablehnend? Oder ist das derzeit nicht absehbar?

Viele meiner Patienten haben sich mit dem Thema ePA noch nicht eingehend befasst. IT-affine Patienten äußerten mir gegenüber Bedenken, dass neben den behandelnden Ärzten auch weitere Kreise, wie Betriebsärzte oder Sicherheitsbehörde oder das ein zentraler Datenspeicher mit Gesundheitsdaten irgendwann erfolgreich angegriffen wird und vertrauliche Gesundheitsdaten in die Öffentlichkeit gelangen.

Thomas Klug: Apropos „Angriffe auf Gesundheitsdaten“: Im Vorgespräch habe ich erfahren, dass Sie ein sicherheitsbewusster Arzt sind und behandeln die Patientendaten wie die sprichwörtlichen „Kronjuwelen“. Welche konkreten Maßnahmen haben Sie zur Sicherung Ihrer Patientendaten getroffen?

  1. Ich belege Kurse zur IT-Technik und informiere mich auf entsprechenden Webseiten über neue Entwicklungen, um eine eigene Kompetenz aufbauen.
  2. Netztrennung. E-Mails, immer noch ein Haupteinfallstor für Schadprogramme, werden auf einem getrennten Rechner bearbeitet.
  3. Konsequente Update-Politik und Patches werden zeitnah eingespielt, um Sicherheitslücken schnellstmöglich zu schließen
  4. Der Praxisrechner ist über einen Reverse-Proxy vom Internet abgeschirmt. Diese Hardware-Firewall aus deutscher Produktion bietet einen Virenscanner, Intrusion Detektion und Prävention an.
  5. Einmal im Quartal überprüft mein Systemhaus sämtliche Einstellungen des Praxisrechners mit Schwerpunkt Sicherheit.
  6. Neben dem Schutzprogramm auf dem Praxisrechner wird dieser regelmäßig mit zwei weiteren Programmen auf Schadprogramme untersucht.
  7. Das Praxisprogramm bietet einen Security-Mode, so dass die Patientendaten verschlüsselt sind.
  8. Es gibt mehrere Sicherheitskopien der verschlüsselten Datenbank auf verschiedenen Datenträgern an drei verschiedenen Orten.
  9. Die Passwörter sind mindesten zwölf Zeichen lang und werden über einen Passwortmanager verwaltet. Wenn möglich, kommt eine 2-Faktor-Autenthifizierung zum Einsatz.
  10. Zusätzlich habe ich eine Cyberversicherung, um Schäden auszugleichen, falls wider Erwarten dennoch Patienten durch Datenlecks geschädigt werden.
  11. Wichtig ist, IT-Sicherheit ist kein statischer, sondern ein kontinuierlicher Prozess.

Thomas Klug: Das hört sich nach einem sehr professionellem IT-Sicherheitskonzept an, sodass es Kriminelle schwer haben werden. Wie ist Ihre Sichtweise auf die Kollegen:Innen die wenig oder nichts in die IT-Sicherheit ihrer Praxis investieren?

In der Medizin gibt es die Redensart „there ist no glory in prevention“, also mit Prävention verdient man sich keinen Ruhm. Solange nichts passiert, fühlen sich die Kolleginnen und Kollegen in Sicherheit. Wenn dann etwas passiert, sind die Patienten und die Existenz der Praxis gefährdet. Ich finde, die Kolleginnen und Kollegen sparen an der falschen Stelle.

Thomas Klug: Welchen Datenschutz- & Datensicherheits-Risiken könnten nach Ihrer Meinung nach den Patientendaten in den nächsten Jahren drohen? Wie beurteilen Sie den Trend zu Cloudlösungen?

Von der Industrie wird oft viel vollmundig versprochen und oft klafft zwischen Werbung und Wirklichkeit eine große Lücke. Von Kolleginnen und Kollegen, die sich für den Rechenzentrumskonnektor entschieden haben, erfahre ich im Gespräch, dass dieser nicht eine so sorgenfreie Lösung darstellt, wie von der Industrie angepriesen wird.

Bei den Cloud-Lösungen muss man sich klar machen, dass sich dahinter die Rechner von Firmen verbergen. Sicherlich gibt es Anwendungen, wo man nicht auf diese Dienstleistungen verzichten kann. Jedoch macht man sich von einer anderen Firma abhängig. Wenn dort Fehler unterlaufen, ist man ohne Einflussmöglichkeit davon betroffen. Ich kenne Fälle im Bankenbereich, wo zunächst mit günstigen Preisen geworben wurde und diese dann im Verlauf erhöht wurden.

Ein weiteres Problem ist, dass bei einer Störung in der zentralen Cloud-Architektur gleichzeitig viele Praxen in der Fläche ausfallen.

Thomas Klug: Der Faktor „Finanzierung“ spielt ja auch bei der IT-Sicherheit eine große Rolle. Oftmals wird IT-Sicherheit nur mit Kosten in Verbindung gebracht. Teilen Sie die Meinung, dass IT-Sicherheitsmaßnahmen vom GKV-System refinanziert werden müssten?

Derzeit lasten die Kosten für die IT-Sicherheit auf den jeweiligen Praxen. Hier muss man auch sehen, dass die Honorarsteigerungen in den letzten Jahren unter der Inflationsrate lagen. Es wäre nur fair, wenn den Praxen die Kosten für die IT-Sicherheit zumindest teilweise erstattet werden.

Thomas Klug: Der wachsende Unmut über ausufernde Kosten, dysfunktionale Telematik und hohe Bürokratie belastet die Praxen. Schon heute fehlen viele Behandler in den verschiedensten Fachbereichen. Was sehen Sie auf das Gesundheitssystem die nächsten Jahre zukommen?

Zum einen wechseln altersbedingt viele Praxisinhaberinnen und Praxisinhaber in den Ruhestand. Nicht alle werden einen Nachfolger finden, was die flächendeckende Versorgung gefährdet. Der Trend geht in Richtung Anstellung und im ambulanten Bereich in Richtung Medizinischer Versorgungszentren, MVZ, mit allen Vor- und Nachteilen. Ich gehe davon aus, dass Hausärztinnen und Hausärzte, die die Patienten über Jahre und Jahrzehnte begleiten, immer weniger werden.

Herr Dr. Stotz, vielen Dank für das Interview. Ich hoffe, dass Sie noch lange dem System der Leistungserbringer erhalten bleiben. Die Patienten werden Ihnen sicherlich dankbar sein. Besonders durch Ihr vorbildliches IT-Sicherheitskonzept gewährleisten Sie, dass sich Versicherte auf robuste und verfügbare Patientendaten in Ihrer Praxis verlassen können.

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